Rohstoff – Geschichte

7. Juli 2014 Figuren: János Siklósi Posted In: Allgemein

Bohrturmtaufe

Filmstills aus einer Amateuraufnahme zur Bohrturmtaufe am 18.11.1960 in Ternitz. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Ulrike Steindl.

Filmstills aus einer Amateuraufnahme zur Bohrturmtaufe am 18.11.1960 in Ternitz.
Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Ulrike Steindl.

Wir treffen Frau Mag. Steindl, Enkelin von János Siklósi (1894-1969), Technischer Direktor bei Schoeller-Bleckmann Tiefbohrtechnik in Baden bei Wien. Ulrike Steindl hat als Kind im Jahr 1960 einen von ihrem Großvater entworfenen, einklappbaren Bohrturm getauft, im Rahmen einer hochoffiziellen Feier.

Der Spruch, den das Mädchen als Turmpatin damals zu sagen hatte, ist ihr noch heute im Gedächtnis: „Du sollst Beppo heißen und ein glücklicher Mitarbeiter der österreichischen Erdölindustrie werden.“ Auch die Wochenschau und die Super-8-Kamera ihres Vaters haben das technisch-familiäre Ereignis festgehalten.

 

Eine Geschichtswerkstatt in Baden

Geschichtswerkstatt in Baden. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte.

Geschichtswerkstatt in Baden.
Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte.

Hinter Hecken und Bäumen im Badener Helenental liegen Villen, deren Ausmaß, und deren historische Bedeutung man von der Straße kaum abschätzen kann. Direkt neben dem Haus der Familie Steindl liegt das Grundstück der Villa Gutmann, ursprünglich im Besitz der jüdischen Bankiers- und Kohlenhändlerfamilie, später mondäner Wohnsitz des Ölindustriellen Richard Keith van Sickle (1899-1961) und von Elfriede Krasa (1909-1995). In einer Appartementanlage, die auf einem abgetrennten Teil des ursprünglichen Parks errichtet wurde, hat einst auch Bundespräsident Kurt Waldheim gelebt.

Einem Teil der historischen Bedeutung dieser Gegend für die österreichische Ölindustrie werden wir in unseren Gesprächen in Baden näher kommen.

Ingenieur in Wien, Ternitz und der Welt

János Siklósi (2.v.r) bei einem Besuch von Minister Karl Waldbrunner (3.v.l) im Werk Ternitz. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Steindl.

János Siklósi (2.v.r) bei einem Besuch von Minister Karl Waldbrunner (3.v.l) im Werk Ternitz.
Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Ulrike Steindl.

Geboren wurde János Siklósi am 7.8.1894 im ungarisch-slowakischen Neuhäusel, ungarisch Érsekújvár, heute slowakisch Nové Zámky. 1914 schließt er in Kaschau (slowakisch. Košice, ungarisch Kassa) ein Studium als Maschinenbauer ab. Technik lag in der Familie, sein Vater war schon Lokführer und soll auch Kaiserin Elisabeth bisweilen zu ihrem Sommersitz nach Gödöllő chauffiert haben. Nach dem Ersten Weltkrieg wird Neuhäusel der Slowakei zugeschlagen, Siklósi wendet sich nach Wien. Hier lernt er seine Frau Maria Jezek kennen, Sekretärin bei Fiat und ihrerseits Tochter aus der berühmten jüdischen Unternehmerfamilie Pick.

Rumpler, Mannesmann-Trauzl und dann Schoeller-Bleckmann aus Ternitz sind die beruflichen Stationen des Oberingenieurs im Tiefbohrwesen. „Tool joints”, besondere, patentierte Verbindungsstücke im Bohrgestänge, der Rotary-Tisch und die klappbaren Bohranlagen sind Innovationen, die unter anderem auch mit seinem Namen verbunden sind.

Technik- und Familiengeschichte

Lageplan der Bohrung Plattwald 10. Zeichnung von Ilona Siklósi 1944. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Ulrike Steindl.

Lageplan der Bohrung Plattwald 10. Zeichnung von Ilona Siklósi 1944.
Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Ulrike Steindl.

Eine ganze Familie hat Teil an der Entwicklung einer mit der Weltgeschichte verwobenen Industrie. Während des Krieges, ab 1941, ist auch Janós‘ Tochter Ilona, die spätere Mutter von Ulrike Steindl, im Erdölwesen tätig, als geologische Zeichnerin beim Tiefbohrunternehmen Richard Keith van Sickle unter dem Chefgeologen Dr. Ferdinand Aberer (später RAG).

Einer sowjetischen Verschleppung nach Baku kann sich János Siklósi nach Kriegsende gerade noch entziehen, mit einem Geologenkollegen versteckt er sich in der Wiener Mariahilferstraße am Dach, während Häscher die Keller durchsuchen. Doch von der versprochenen ‚weißen Villa‘ am kaspischen Meer wird in der Familie noch heute geschwärmt…

Schoeller-Bleckmann Tiefbohrtechnik

Werbegrafik von Schoeller-Bleckmann Tiefbohrtechnik: Schon in den 1950er Jahren ein globales Unternehmen. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte.

Werbegrafik von Schoeller-Bleckmann Tiefbohrtechnik: Schon in den 1950er Jahren ein globales Unternehmen.
Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte.

In den 50er Jahren geht János Siklósi zu Schoeller-Bleckmann, um die dort 1948 begründete Tiefbohrtechnik aufzubauen. Auch ein Onkel von Ulrike Steindl, Dr. Othmar Steinbauer ist hier tätig, so dass die Firma mit Onkel und Neffe als Technischem Direktor und Geschäftsführer fast zum Familienunternehmen mutiert.

Reisen führen Siklósi in die Erdölreviere der halben Welt, etwa nach Canada, Südamerika und Texas. Selbst aus der Pension wird der Oberingenieur mit über 70 Jahren nochmals ins Unternehmen zurückgerufen. Einmal mehr macht er sich um die Firma verdient und zieht tatsächlich einen millionenschweren Auftrag für Schoeller-Bleckmann an Land. Doch entkräftet und vom Magenkrebs gezeichnet stirbt Janós Siklósi am 5.10.1969 in Baden.

Männerfreundschaft

Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte. Objekt in Privatbesitz.

Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte. Objekt in Privatbesitz.

“To my old friend Bačsi, Keith van Sickle” lesen wir eingraviert in einem silbernen Zigarettenetui, darin noch die letzten, vom Großvater nicht mehr gerauchten Camels. Eine Freundschaft, die nicht nur in späten Badener Spaziergängen unter Männern gepflegt worden war.

Eine Sammelaktion 1939

János Siklósi und Richard Keith van Sickle. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Ulrike Steindl.

János Siklósi und Richard Keith van Sickle.
Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Ulrike Steindl.

Mit einer regelrechten Sammlung unter der Belegschaft des Tiefbohrunternehmens Richard Keith van Sickle, mit 10 Reichsmark pro Person hatte Siklósi im Jahr 1939 dem kurz vor Kriegsbeginn de fakto fast enteigneten van Sickle die Fahrt über die Schweiz nach London finanziert, berichtet die Enkelin von Siklósi.

Verbindungsstück der Generationen

Bleistiftzeichnung von János Siklósi: Der Großvater und Ingenieur erklärt seiner Enkeltochter seine Erfindungen. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Ulrike Steindl.

Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Ulrike Steindl.

Ein kaum minder eindrucksvolles Zeugnis sind aber einfache Bleistiftzeichnungen auf den letzten Seiten in einem Notizbuch. Mit wenigen Strichen hatte der Großvater der neugierigen Enkelin die Grundprinzipien seiner Erfindungen erklärt: etwa das zum Klappen der mehr als 40 Meter hohen Bohrturmanlagen geeignete Gelenk. Ebenso die neu patentierten Verbindungsstücke im Bohrgestänge, die ‚tool joints‘, die sich auch nach dem Abreissen wieder einfangen lassen.

Als Gelenke und Verbindungsstücke, sie sich ebenfalls mit einigem Abstand wieder einfangen lassen, werden die Dokumente, werden diese Bleistiftzeichnungen selbst lesbar. Als faszinierendes Zeugnis eines Lebens, ja einer ganzen Industrie werden die familiär technischen Zeugnisse des János Siklósi auch noch für uns zur wertvollen Lektüre.

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