Rohstoff – Geschichte

1. April 2014 Weltgeschichte im Weinviertel Posted In: Erzählungen

Weltgeschichte im Weinviertel

 

Die Ölfelder um Zistersdorf und Neusiedl 1944/1945. Am Horizont brennt vermutlich das Tanklager Hauskirchen. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Dieter Sommer.

Die Ölfelder um Zistersdorf und Neusiedl 1944/1945. Am Horizont brennt vermutlich das Tanklager Hauskirchen.
Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Dieter Sommer.

Über seine fossilen Bodenschätze ist das Weinviertel im 20. Jahrhundert Teil der Weltgeschichte.

Erster und Zweiter Weltkrieg, „Anschluss“, Staatsvertrag und Eiserner Vorhang sind hier direkt mit Öl und Gas verknüpft.

Aber sogar die Iranische Revolution hat mit der Hochpreisphase um 1980 im Untergrund des Wiener Beckens tiefste Spuren hinterlassen.

Galizien

Postkarte von 1900 aus den galizischen Erdölrevieren. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Rudolf Schar.

Postkarte von 1900 aus den galizischen Erdölrevieren.
Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Rudolf Schar.

Glanzvoll und chaotisch beginnt die Geschichte der österreichischen Ölförderung im 19. Jahrhundert weit außerhalb der Grenzen des heutigen Österreich: über ebenso zahlreiche wie ergiebige Quellen im heute polnischen und ukrainischen Galizien ist das Habsburgerreich um 1900 drittgrößter Ölproduzent der Welt, nach den USA und Russland.

Insbesondere jüdische Unternehmer sind in dieser Pionierzeit aktiv, in Galizien, aber auch in Wien. Erst mit den Vertreibungen und Ermordungen durch die Nationalsozialisten bricht diese Traditionslinie Ende der 1930er Jahre ab.

Erster Weltkrieg

 

Türkische Bohrleute im Weinviertel 1915. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Karl Brabec.

Türkische Bohrleute im Weinviertel 1915, in der Mitte sitzend vorn der Geologe Oberleutnant Hermann Vetters.
Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Karl Brabec.

Die ersten Ölbohrungen im Weinviertel hängen bereits an einem welthistorischen Ereignis.

Da mit Beginn des Ersten Weltkriegs die galizischen Ölquellen durch zaristisch-russische Truppen besetzt sind, wird in Rabensburg, Hohenau und Raggendorf ab 1915 und zunächst ohne großen Erfolg nach Öl gebohrt: unter anderem auch von verbündeten, osmanisch-türkischen Bohrtrupps.

St. Ulrich 1

 

Hakenkreuzfahnen bei der Eröffnung der Bohrung St. Ulrich 1 am 25.9.1938. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Karl Brabec.

Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Karl Brabec.

Hakenkreuzfahnen bei der Eröffnung von St. Ulrich 1 am 25. September 1938. Mit dem Anschluss Österreichs an NS-Deutschland werden die Ölfelder im Wiener Becken massiv ausgebaut.

Der Plan: Mit diesen Quellen will die Deutsche Wehrmacht die riesigen Ölreviere im Kaukasus und am Kaspischen Meer erobern. Tatsächlich wird das Ölfeld um St. Ulrich die wichtigste Ölquelle innerhalb des Großdeutschen Reichs.

Österreicher und Russen im Ölfeld 4/1945

 

Russen und Österreicher im Ölfeld. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Dieter Sommer.

Russen und Österreicher im Ölfeld.
Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung Dieter Sommer.

Im Frühjahr 1945 besetzt die Rote Armee das Weinviertel. Aus dem beschlagnahmten Besitz NS-deutscher Ölunternehmen entsteht die Sowjetische Mineralölverwaltung (SMV).

Mehrere Millionen Tonnen Öl fließen als inoffizielle Reparationen nach Osten.

Russisches Weinviertel

 

Kyrillisch beschriftete Karte der Ölfelder rund um Zistersdorf und Neusiedl. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, GBA-Archiv.

Kyrillisch beschriftete Karte der Ölfelder rund um Zistersdorf und Neusiedl.
Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, GBA-Archiv.

Nicht nur auf dieser Landkarte von 1945 erscheinen die Ortschaften im Weinviertel in kyrillischer Schreibweise.

Über das Erdöl ist Österreich bis 1955 auch in die Rohstoffwirtschaft der Ostblock-Staaten eingebunden. Hochwertiges Öl aus Matzen wird in den extra darauf abgestimmten Hydrierwerken in Leuna (DDR) verarbeitet.

Globaler Ölpreis und lokale Geologie

 

Bei höchsten Preisen lohnen sich tiefste Bohrungen. Zistersdorf Übertief 1 am 17.1.1980. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung OMV

Zistersdorf Übertief 1 am 17.1.1980.
Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung OMV.

Der Staatsvertrag 1955 und die Gas-Abkommen mit der UdSSR in den 1970er Jahren sind weitere Marksteine der politischen Geschichte wie der Rohstoffgeschichte.

Aber noch in den 1980er Jahren hat die geologische Tiefenerschließung des Weinviertels eine welthistorische Grundlage. Die Iranische Revolution verunsichert die globale Versorgungslage, der Ölpreis steigt auf ein Allzeithoch.

Bei höchsten Preisen lohnen sich die tiefsten Bohrungen. Die ÖMV wagt sich an spektakuläre Projekte im Weinviertel. Eine beeindruckende, wissenschaftlich-technische Maschinerie wird in Gang gesetzt, mit Aufwendungen von umgerechnet 50 bis 100 Mio. Euro pro Übertief-Bohrung etwa in Zistersdorf, aber auch in Maustrenk und Gänserndorf.

Geologische Erkenntnis aus ökonomischen Fehlschlägen

 

Der geologische Erkenntnisgewinn aus den Übertiefborhungen im Wiener Becken. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte. aus: Wessely, Godfried: Geological results of deep exploration in the Vienna basin, in: Geologische Rundschau 79 (1990), S. 517.

Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, aus: Wessely, Godfrid: Geological results of deep exploration in the Vienna basin, in: Geologische Rundschau 79 (1990), S. 517.

Bei 7544 Metern Tiefe kommt es in Zistersdorf am 16.1.1980 zum Gasauftrieb. Doch das Bohrloch Zistersdorf Übertief 1A stürzt ein. Eine weitere Bohrung, Zistersdorf Übertief 2A, verfehlt mit einer bis dahin in Europa nicht erreichten Endteufe von 8553 Metern die erhoffte Gaslagerstätte.

Ökonomisch musste das Projekt abgeschrieben werden. Doch geologisch zehrt das Unternehmen und die Wissenschaft noch heute von den Rekordbohrungen in die gut 100 Millionen Jahre alten Sedimentschichten knapp über der Böhmischen Masse.

 

 

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