Rohstoff – Geschichte

21. Oktober 2015 Geistliches Leben im Ölfeld Posted In: Allgemein

Barbarafeier 1970 in Matzen

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Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung OMV, Fuhrpark Prottes.

Mitten in der Kirche, direkt neben dem Altar steht ein VW-Bus. Vor dem Altar spricht Erzbischof Exc. Dr. Joseph Schoiswohl (1901-1991).

Es ist Barabarafeier am 6.12.1970 in der St. Leonhardskirche in Matzen. Die Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Das Thema ist in diesem Jahr der Werksverkehr.

Chauffeure vom Fuhrpark der ÖMV am Ernestinenhof berichten im Gottesdienst aus ihrer Arbeitswelt. Erzbischof Joseph Schoiswohl weiht eine handgeschnitzte Christophorus-Statue.

Bergmannsleben trifft auf ländliche Religiosität, höchste geistliche Würdenträger auf die Konzernspitze der ÖMV, Kardinäle auf Vorstandsdirektoren.

Tatsächlich entsteht jenseits von Folklore und Firmenpolitik in regelrechten Werksgottesdiensten ein neues Miteinander von christlichem Glauben und den Herausforderungen der Arbeitswelt von Öl und Gas im Weinviertel.

Pfarrer Günther Gradisch

Pfarrer Günter Gradisch. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung OMV, Fuhrpark Prottes.

Pfarrer Günther Gradisch. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung OMV, Fuhrpark Prottes.

Barbarafeiern im Kreise der Arbeiter und Angestellten der ÖMV, Gottesdienste also zu Ehren der als Schutzheilige der Bergleute verehrten, heiligen Barbara von Nikomedien finden in Matzen spätestens seit Anfang der 1960er Jahre statt. Mündliche Berichte lassen aber schon auf einen Beginn der Feiern im Jahr 1957 schließen.

Gestiftet hat diese Tradition der seit 1957 in Matzen ansässige Pfarrer Günther Gradisch (1926-1982), bis heute hoch geschätzter, charismatischer Erneuerer der Pfarrgemeinde.

Der Neubau der Pfarrkirche in den Jahren 1958 bis 1959, die Barbarafeier als neue Verknüpfung von Glaubens- und Arbeitswelt sowie die Öffnung der Liturgie im Sinne des 2. Vatikanischen Konzils sind im Weinviertel eng mit dem Namen Gradisch verbunden.

 Insignien von Öl und Gas im Kirchenraum

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St. Leonhard 1963. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung OMV, Fuhrpark Prottes.

Schon am Beginn der 1960er Jahre ist der schlichte, von Pfarrer Günther Gradisch selbst entlang des pastoralen, seelsorgerischen Konzepts der Teilhabe entworfene Kirchenraum mit Insignien der Arbeitswelt von Öl und Gas geschmückt.

Hier an der Rückwand sichtbar bei den Trauerfeierlichkeiten für einen verunglückten Mitarbeiter des ÖMV-Fuhrparks 1963.

Osterkerze, Bohrkern und Rollenmeißel

Rollenmeißel als Kerzenständer. Detail aus der St. Leonhardskirche in Matzen. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte.

Industrieller Rollenmeißel als Kerzenständer. Detail aus der St. Leonhardskirche in Matzen. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte.

Mittlerweile ruht selbst die Osterkerze in Matzen auf einem Bohrkern mit Rollenmeißel aus der Erdölindustrie – ein vermutlich in kaum einem anderen Sakralraum Österreichs oder Europas anzutreffendes Kunstwerk.

Eine ganze Reihe von stählernen Skulpturen sind sogar im Kirchenraum selbst entstanden.

Noch heute berichten ehemalige Teilnehmer der Barbarafeiern ergriffen davon, wie im Gottesdienst von ÖMV-Lehrlingen das neue Matzener Altarkreuz geschweißt wurde.

Barbarakreuz bei Prottes

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Einweihung des Barbarakreuzes am 4.12.1966, Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung OMV, Fuhrpark Prottes.

Eine der raumgreifendsten Anlagen, die die Verknüpfung von Erdölwesen und religiösem Leben im Weinviertel sichtbar macht, ist das Barbarakreuz bei Prottes.

Elemente eines alten Förderturms der ÖMV wurden in der Dorfschmiede von Ludwig Polak in Matzen zu einem Kreuz umgebaut. Eingeweiht wurde die ungefähr 20 Meter hohe, und damit weithin sichtbare Stahlkonstruktion vom päpstlichen Nuntius, Erzbischof Dr. Opilo Rossi (1910-2004) im Rahmen der Barbarafeier am 4.12.1966.

Dr. Margarethe Ottillinger

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Einweihung des Barbarakreuzes am 4.12.1966, Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung OMV, Fuhrpark Prottes.

Im Bildmittelpunkt ist hier bei der Einweihung des Barbarakreuzes 1966 die ÖMV-Vorstandsdirektorin Dr. Margarethe Ottillinger (1919-1992) zu sehen – wie fast bei jeder Barbarafeier in den Fotoalben des Fuhrparks Prottes. Auch sie ist, wenn auch auf andere Weise wie Pfarrer Günther Gradisch, wohl eine der Schlüsselfiguren für ein historisches Verständnis der katholischen Milieus im Umfeld der österreichischen Erdölwirtschaft.

Als Spitzenbeamtin an der Seite des Ministers für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung Peter Krauland (1903-1985) war Margarethe Ottillinger 1948 aus dem Wagen des Ministers heraus in den sowjetischen Gulag verschleppt worden. Erst nach sieben Jahren wird sie wieder nach Österreich entlassen.

1957 wird sie Vorstandsdirektorin der ÖMV und damit eine der wichtigsten Managerinnen der gesamten Zweiten Republik. Ende der 1960er Jahre ist sie es, die den ersten Liefervertrag für sowjetisches Gas in den Westen aushandelt.

Als „große Wohltäterin der Kirche“ scheint sie schon 1962 in der Pfarrchronik von Matzen auf. Sie wird Beraterin des Wiener Kardinals Franz König in Fragen der Ostpolitik, und auf ein im sowjetischen Straflager Potma hin geleistetes Gelübde regt sie in den 1970er Jahren den Bau der aus Betonquadern gefertigten ‚Wotrubakirche‘ in Wien-Mauer an, was der Ölmanagerin indirekt auch einen bleibenden Platz in der Geschichte der Sakralarchitektur des 20. Jahrhunderts sichert.

Bergmannskapelle und Geistlichkeit

Einweihung der Gasstation Auersthal 1957. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung OMV.

Einweihung der Gasstation Auersthal 1957. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung OMV.

Althergebrachte, ländliche Traditionen und die in der Region vergleichsweise neue Kultur des Bergmannswesens sind im Weinviertel auf vielfache Weise verschwistert: im Gedenken an die Toten, aber auch in Fahrzeug- und Gebäudesegnungen.

Große Infrastrukturbauwerke der Erdölwirtschaft, wie hier die 1957 in Betrieb genommene Kompressorstation der ÖMV in Auersthal, werden von höchsten geistlichen Würdenträgern geweiht.

Bergmannskapelle und geistlicher Beistand: Genau in dieser Zusammenstellung in einem Album der ÖMV angetroffenes Nebeneinander und Miteinander bei der Einweihung der Gasstation.

Geweihte Industriekomplexe

Einweihung der Gasstation Auersthal 1957. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung OMV.

Einweihung der Gasstation Auersthal 1957. Quelle: Archiv Rohstoff Geschichte, Sammlung OMV.

Unverkennbar aber auch schon hier im ÖMV-Fotoalbum: Mehr noch als die Kultur der Bergarbeiter wird das Automobil ab den 1950er Jahren die althergebrachten Lebensformen im Weinviertel verändern. Seelsorge im Ölfeld bedeutet damit nicht nur, die Menschen bei den Gefahren und Herausforderungen der neuen Arbeitswelt zu begleiten. Es geht auch darum, Halt zu bieten bei der rasanten Veränderung einer gesamten Region.

Wie schnell sich die Bedingungen verändern, lässt sich in den Fotoalben erkennen. Selbst die mächtigsten Wahrzeichen der neuen Industriekultur stehen nicht lange. Die beiden Kühltürme der Gasstation im Hintergrund der oberen Aufnahme werden Anfang der 1960er Jahre sogar Bestandteil des neuen Ortswappens von Auersthal, aber schon im Frühjahr 1978 werden sie nach kaum mehr als 20 Jahren Standzeit von der Betriebsfeuerwehr ausgebrannt und abgebrochen.